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"I've done too much for too many for too long
with too little regard for myself."

(Zitat eines Betroffenen)

Burnout: Gesellschaftliche Ursachen tragen zur persönlichen Verausgabungsbereitschaft bei

Burnout Erwartungsdruck

Zu den offensichtlichen selbstausbeutungsförderlichen arbeitsstrukturellen Faktoren gesellen sich noch unterschwellig wirksame Einflussfaktoren in Form zentraler gesellschaftlicher Werte und Rollenerwartungen hinzu. Gesellschaftliche Normen beeinflussen unsere Einstellung zur Arbeit, und damit unsere Einsatzbereitschaft im Beruf.

 

In der westlichen Welt gilt das Leistungsprinzip: wer etwas leistet, wird respektiert, anerkannt und wertgeschätzt. Wer nichts oder in den Augen der Gesellschaft zu wenig leistet, erntet Unverständnis und Verachtung. Die Arbeit ist sinn- und identitätsstiftend. Das wird nicht nur im gesellschaftlichen Umgang mit Arbeitslosen deutlich - nichts provoziert die öffentliche Diskussion über vermeintlich systemschädigende "Schmarotzer" und "Faulenzer" mehr als solche Arbeitslose, die verkünden, mit ihrer Situation glücklich und zufrieden zu sein. Auch wissenschaftliche Untersuchungen über die Wertorientierungen junger Berufstätiger ergeben, wie eng die eigene Identität mit der Art dem Erfolg der Erwerbstätigkeit verknüpft wird (vgl. z.B. Baethge 19941), 19992)).

Vor allem für Höherqualifizierte ist die Arbeit nicht mehr nur eine Chance zur Selbstentfaltung und Verwirklichung eigener Ansprüche, sondern die Selbstentfaltung und Selbstdarstellung über die Arbeit wird zur Pflicht, zu einem gesellschaftlichen Zwang, der in hohen Ansprüchen an sich selbst resultiert. Wer lange Ausbildungszeiten auf sich nimmt, erwartet von sich selber, dass sich derartige "Investitionen" später in der eigenen Berufsbiografie irgendwie auszahlen müssen, sei es in Form von Einkommen, Berufsprestige, Karrierefortkommen, Selbstverwirklichung oder Ansehen.

Hinzu kommen konkrete Rollenerwartungen seitens der Gesellschaft an Männer und Frauen. Die traditionelle Rolle des Mannes als dem eigentlichen Ernährer und Versorger der Familie hat auch im 21. Jahrhundert noch nicht ausgedient. Die Existenzsicherung der Familie gilt auch heute noch als primär männliche Pflicht. Wenn aus einer Doppelverdiener-Ehe eine Familie mit Kindern wird, fallen die meisten Paare in die althergebrachte Rollenverteilung zurück. Das hat nicht nur ökonomische Gründe - auch bei ähnlich hohen Einkommen beider Partner definieren sich die Männer häufig als die Haupternährer der Familie. Wer es nicht tut, muss den gesellschaftlichen Gegenwind aushalten können.

Burnout: Rollenerwartungen

Männer, die sich als Hausmann betätigen, gelten in den Augen ihrer Geschlechtsgenossen zumeist als Versager und "Schlappschwänze". Um als Mann aus gesellschaftlicher Perspektive erfolgreich zu sein, muss er sich auf bemessbare äussere Werte wie den beruflichen Status (inklusive dazugehöriger Statussymbole), Einkommen und berufliche Auszeichnungen fixieren. Er muss gerade die ersten Berufsjahre möglichst stark ranklotzen, um auf der Hierarchie nach oben klettern zu können und sich eine der gleichermassen begehrten wie raren Führungspositionen zu sichern. Dabei sind Überstunden Pflicht, denn entgegen aller Beteuerungen aus den Unternehmen zählt die Anwesenheitszeit bei der Beurteilung von Leistungsbereitschaft (und damit der Beförderungswürdigkeit) mehr als das tatsächliche Endergebnis der Arbeit.

Bei den Frauen droht ebenfalls Überarbeitung durch die Internalisierung der an sie gerichteten gesellschaftlichen Rollenerwartungen: sie sollen sowohl Karriere als auch Kinderaufzucht unter einen Hut bekommen. Überlassen sie dem Mann die Hauptaufgaben im Haushalt und die Erziehung der Kinder (oder delegieren dies an ein Heer familienexterner Dienstleister), um sich ihrer Karriere zu widmen, gelten sie als Rabenmütter, als Egoistinnen oder als vermännlicht. Bleiben sie indes ganz zu Hause, um sich trotz hochqualifizierter Berufsausbildung voll und ganz auf Kinder und Küche zu konzentrieren, werden sie als "Glucken", "Emanzipationsverräterinnen" und "Heimchen am Herd" verunglimpft. Der Versuch, alles miteinander vereinbart bekommen und gleichermassen gute Mutter, Ehefrau und Mitarbeiterin bzw. Managerin zu sein, bietet mithin ein schier unendliches Überarbeitungs- und Erschöpfungs-Potenzial.

Derartige gesellschaftliche Wertvorstellungen und rollenspezifische Erwartungen legitimieren die Selbstausbeutung des Einzelnen also nicht nur, sondern lassen sie sogar als geradezu erstrebenswert erscheinen.

03.11.2012 - cmz


Fussnoten:

1) Baethge, M. (1994): Arbeit und Identität. In: U. Beck & E. Beck-Gernsheim (Hrsg.): Riskante Freiheiten. Individualisierung in modernen Gesellschaften, Frankfurt/M: Suhrkamp, S. 245 - 261.

2) Baethge, M. (1999): Subjektivität als Ideologie. Von der Entfremdung in der Arbeit zur Entfremdung auf dem (Arbeits-) Markt? In: G. Schmidt (Hrsg.): Kein Ende der Arbeitsgesellschaft. Arbeit, Gesellschaft und Subjekt im Globalisierungsprozess, Berlin: edition sigma, S. 129 - 157.